Andacht: Blick auf das Kreuz
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Johannes 3,16). Eine Andacht von Manfred Hein-Dürr
Liebe Leser*innen,
auf dem Weg zu meiner Praxis steht seit einigen Jahren ein Kreuz. Jahre lang hing der Korpus am Stein eines Familiengrabes, welches dann irgendwann aufgehoben worden ist. Durch Umwege fanden Korpus und Inschrift den Weg zu mir. Der Plan, daraus ein „altes Wegkreuz“ zu machen, war schnell gefällt und wurde bald umgesetzt. So hängt es an neuem Ort und es sieht ganz so aus, als wache Jesus über alle Menschen auf diesem Weg.
Als Tageslosung für den heutigen Karfreitag nehme ich den 14. Vers aus Psalm 147 hinzu: „Er schafft deinen Grenzen Frieden und sättigt dich mit dem besten Weizen.“
Menschen begegnen sich – in Konkurrenz um die Impfreihenfolge, in Auseinandersetzung um den besten Impfstoff, aber eben auch in Solidarität mit „Hochrisikogruppen“ oder in fürsorglicher Liebe und Sorge um die Menschen in ärmeren Erdteilen, die noch weniger Aussicht auf Impfung haben. Die Art und Weise der Begegnung zwischen uns Menschen verschafft uns Glück oder Ärger, Kampf oder Frieden, Nachtrag oder Barmherzigkeit. Meine großartig kluge Oma sagte immer: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem tumben Nachbarn nicht gefällt.“ So ist das: Wir Menschen begegnen uns an jeweils unseren Grenzen und Möglichkeiten. Und das Ergebnis jeden Kontakts ist eben offen – für Glück oder Ärger, für Kampf oder Frieden, für Nachtrag oder Barmherzigkeit.
Menschen an der Kontakt-Grenze
Der Psalmbeter betont nun ausdrücklich, dass Gott den Frieden schafft. Mit Blick auf das Kreuz ist es der Gott, der die Liebe ist. So gesehen kommt dieser Gott – als die besondere Qualität der Liebe – in die Begegnung von Menschen „an der Grenze“ zum Tragen. Er schafft uns dort – an unseren Grenzen und in unseren begrenzten Möglichkeiten – den Frieden und gibt uns, was wir eben so zum Leben brauchen.
Das ist jedoch keine theologische Fantasie, sondern wirkt sich konkret aus. Die derart qualifizierte Begegnung an der Kontakt-Grenze führt dazu, dass der Hunger gestillt wird: „Beste Nahrung“ folgt dem Frieden. Die Liebe lädt ein zum gemeinsamen Mahl in Gemeinschaft stiftender Runde. „Kommt alle“, die ihr hungrig und voller Angst vor dem Virus seid. Die ihr verfolgt werdet bis in die Träume. Die ihr Trost braucht oder Vergebung. Kommt alle, denn alle werden mit „bestem Weizen gesättigt“! Und das ganz unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Bekenntnis, Leistung, Alter oder sexueller Orientierung.
Liebe Leser*innen, auf dem Weg zwischen Parkplatz und Praxis laufen manche an dem Wegkreuz vorüber und bemerken seine Gegenwart nicht. Der Kopf ist zu voll, die Seele verkrümmt, der Körper in Schmerz. Andere bleiben stehen, werden sich und des Augenblicks gewahr. Wie auch immer wir es mit Kreuzen am Weg halten mögen, sie sind da – hängen als Angebot für das Gewahrwerden von Gottes Gegenwart zu Frieden und Sättigung „einfach so da“, so wie Gott „einfach da“ ist.
Für die kommenden Tage wünsche ich Ihnen und uns allen Augenblicke der Aufmerksamkeit, des Friedens und der Sättigung. Auf dass das Reich Gottes anbrechen und das große Fest des Lebens beginnen möge.
Ihr Pfarrer Manfred Hein-Dürr
Manfred Hein-Dürr arbeitet mit halber Pfarrstelle am Berufskolleg Dieringhausen sowie als heilkundlicher Psychotherapeut, Coach und Supervisor.