Andacht: Toben, Fluchen, Meckern
Eine Andacht von Michael Braun, Superintendent des Kirchenkreises An der Agger, zum Sonntag Judika, dem fünften Sonntag in der Passionszeit
Toben, Fluchen, Meckern – alles drei ist nicht schwer und tut manchmal richtig gut. Luft ablassen und aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, ist für das eigene Seelenleben wichtig. Und wenn dann auch einmal das Wort mit „Sch…“ fällt, kann das eine befreiende und reinigende Wirkung haben.
Und wer kennt diese Gefühle nach mehr als einem Jahr Corona nicht? Sicher versucht man, mit Beherrschung und Vernunft die Kontrolle zu behalten, aber irgendwann sorgt die Mischung aus Angst, schlechten Nachrichten und dem immer noch nicht abzusehenden Ende dafür, dass alles einfach einmal raus muss.
Vor 40 Jahren stand dafür das kleine HB-Männchen als Markenzeichen. Schlimme Erfahrungen lassen einem nur diese beiden Alternativen: vor Wut platzen oder einen Ausweg finden. Das HB-Männchen warb dafür, als Ausweg lieber zu rauchen, was natürlich auch nicht half. Toben, Fluchen, Meckern sind sicher die bessere und gesündere Alternative, um sich Luft zu machen.
Doch auch das ist nur ein Anfang. Gegen Kummer und Sorgen hilft nur Reden. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und anderes als Toben, Fluchen, Meckern setzt Reden voraus, dass man seine Gefühle wirklich zu Wort kommen lässt und offen macht, was einem hinter aller Wut und Verzweiflung im Herzen tatsächlich quält.
In der Bibel steht dafür Hiob. Sein Leben zerbricht. Er verliert Familie, Wohlstand und Gesundheit. Aber er hat drei gute Freunde, die bei ihm sind und ihn nicht allein lassen. Sie können nichts verändern, aber zuhören. Und Hiob kann ihnen erzählen, was er tatsächlich fühlt.
Es tut gut, solche Freunde zu haben, die einfach nur zuhören. Das steht deswegen auch im Zentrum der Seelsorge in der Kirche. Und es steht im Zentrum vieler Gebete. Selbst wenn keiner da ist, hört Gott zu. Auch bei ihm hilft es, zu toben, fluchen und meckern und dann die eigenen Gefühle zu erkennen und zu benennen.
Hiob tobt, flucht und meckert. Hiob kann seine tiefe Trauer aussprechen. Hiob klagt Gott an. Und dadurch findet er wieder Mut und kann am Ende sagen: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben“ (Hiob 19, 25).
Gebet
Kummer
macht einsam
Leid
macht still
Trauer
verschließt die Welt.
Herr
lasse meine Klage laut werden
gib meinem Schmerz Raum
öffne meine Seele.
Herr, sei du mir nah
an guten Tagen
und besonders an allen anderen.
Michael Braun