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Wochenandacht

Andacht: Wir sind ein Leben lang aufgerufen

Eine Andacht von Martin Will, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Eckenhagen, zum Sonntag Reminiscere, dem zweiten Sonntag in der Passionszeit 

Römer 5, Vers 8: Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Beim Bedenken des aktuellen Wochenspruchs aus dem Römerbrief des Apostels Paulus bemerke ich gewisse Widerstände in mir. Mein innerer Einspruch bezieht sich auf die Feststellung „als wir noch Sünder waren“. Schön wär’s, denke ich, wenn sich das Sünder-Sein so einfach abhaken ließe! Selbst vorbildlich lebende Menschen werden doch immer wieder an ihre Grenzen stoßen, so dass sie vom guten Weg, den Christus gewiesen hat, abweichen und um sich selbst kreisen. Martin Luther hat den Menschen beschrieben als ein in sich selbst gekrümmtes Wesen, indem er oder sie sich von Gottes Gnade abwendet und sich letztlich auf sich selbst verlässt, auch gerade im religiösen Streben. Darüber hinaus sind wir eingebunden in Abläufe, die einen auch ungewollt und unbeabsichtigt in das hineinziehen, was „strukturelle Sünde“ genannt wird. Unser Lebensstil und Konsumverhalten hat eben auch Auswirkungen auf Näherinnen in Bangladesh oder Grubenarbeiter im Kongo.

Ich erinnere mich an Günther (Name geändert), der als junger Mann in den Achtzigerjahren eine Predigerausbildung bei einer sehr frommen Einrichtung begonnen und später abgebrochen hatte. Er erzählte, dass es in seinem Predigerseminar zum guten Ton gehörte, regelmäßig öffentlich „Zeugnis abzulegen“ von der eigenen Bekehrung zum christlichen Glauben. Das lief dann bevorzugt im Sinn eines Vorher-Nachher-Schemas ab. Je schwärzer die Zeit vor der Bekehrung geschildert wurde, umso heller und strahlender konnte das neue Leben als Christ erscheinen.

Nun möchte ich mich auf keinen Fall lustig machen über Menschen, die solche grundlegenden Glaubenserfahrungen gemacht haben, zumal ja Paulus selbst eine radikale Wandlung erfuhr, indem er vom Christenverfolger zum Nachfolger Christi wurde. Aber warum betont Paulus nun in unserem Vers so sehr, dass das Sünder-Sein der Vergangenheit angehört? Ich denke, er treibt seine Aussage so auf die Spitze, weil er klarstellen will: Allem menschlichen Glauben und Tun geht Gottes gnädiges Handeln voraus.

Für mich kommt das besonders deutlich zum Ausdruck bei der Taufe von Säuglingen. Sie sind noch ganz auf die Hilfe und liebevolle Fürsorge der Eltern angewiesen, können, außer vielleicht einem Lächeln, zunächst kaum etwas zurückgeben. So ist es auch bei der Taufe: Gottes Liebe geht allem menschlichen Tun voraus, Christus hat alles gegeben, damit wir heil werden. Nun ist die Taufe kein Automatismus, wir sind ein Leben lang auch aufgerufen, entsprechend im Vertrauen auf seine Liebe zu leben.

Man könnte sagen, Günther, der ehemalige Predigerschüler, hat im Lauf der Zeit fast so etwas wie eine zweite Bekehrung erlebt. Rein äußerlich wohl weniger spektakulär als die erste, von der er früher in Fußgängerzonen erzählte, strahlte er etwas aus von einem innerlich viel freieren christlichen Glauben und Leben als zuvor. Er wurde Prädikant und arbeitete seither ehrenamtlich in seiner Kirchengemeinde mit.

Beim Verfassen der Andacht kamen mir diese Worte von Hanns Dieter Hüsch
zugeflogen:

Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände meine Zeit.
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit




Ihr Pfarrer

Martin Will

Zum Bild:

Der Pelikan ziert den Schalldeckel der Kanzel in der Barockkirche Eckenhagen. Die theologische Aussage dahinter ist, dass der Pelikan seit der Antike als Sinnbild für aufopferungsvolle Nächstenliebe galt, weil man annahm, dass das Muttertier sich in Notzeiten selbst für seine Kinder opfere, damit diese nicht verhungerten. Vor diesem Hintergrund bezieht sich der Pelikan auf Jesus Christus.