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Theologischer Impuls von Präses Dr. Thorsten Latzel

Meine kleine, geliebte, idiotische Seele – oder: von der Kunst, mit sich selbst alleine zu sein
TheologischeImpulse95-MeinegeliebtekleinedummeSeele(Mai 2021)600x300
Letzte Woche war Fronleichnam. Einer der Lieblingsfeiertag unter evangelischen Pfarrer-/innen. Die katholischen Schwestern und Brüder feiern – und wir haben frei. Soweit so ökumenisch fein. Dummerweise war mein Corona-Schnell-Test am Morgen zuvor positiv. Also zusätzlicher PCR-Test im Testzentrum, dann zweieinhalb Tage Quarantäne. Bei schönstem Wetter, in der kleinen Dachstube meiner Zwischenwohnung in Ratingen. Persönlicher Lockdown. Mönchszelle 2.0. Nun, mit anderen umzugehen, ist nicht immer einfach. Noch schwieriger ist es mitunter, mit sich selbst klarzukommen. Und das eine hängt mit dem anderen zusammen. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das klingt gut. Doch an manchen Tagen ist meine Seele einfach ein ziemlicher Idiot. Sorry, ist nicht persönlich gemeint. Idiot meint ja ursprünglich jemanden, der nur an das eigene denkt (griechisch idios). Und das tut meine Seele, tue ich selbst, an „idiotischen“ Tagen. Meine Seele macht sich dann klein, wird krümel-krämerisch, kreist um sich bzw. mich, als wäre mein Nabel der Nabel der Welt – und nicht einer von sieben, acht Milliarden. Wenn ich dann mit mir selbst nicht im Reinen bin, kann ich meist auch mit anderen schlechter umgehen. Schon gar nicht mit Telefon-Dauerschleifen von Testzentren („Sorry, I make you wait“). Das Gefühl kennen wohl viele. Gerade in der Corona-Zeit wurden wir kollektiv auf einmal viel stärker mit uns selbst konfrontiert, ein nicht freiwillig gewähltes Alleinsein. Das tut auf die Dauer nicht gut. Weil wir uns selbst nicht immer die beste Gesellschaft sind. Dietrich Bonhoeffer etwa beschrieb das so: „Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. […] Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“ Oder die Psalmen. In ihnen ringt der Beter immer wieder mit der besorgten, ängstlichen, verzagten Stimme in seinem Inneren: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir …“. (Psalm 42, 6a) Er fordert sie auf, ruhig, stille zu sein, anderen zu vergeben, Gott zu loben, sich an der Schöpfung bzw. sich selbst zu freuen. Doch das ist leichter gebetet als gelebt. Es fällt oft schwer, mit sich selbst gnädig zu sein. Weil es eben Dinge gibt, die ich mir selbst nicht sagen kann: „Ich liebe dich.“ „Du bist frei.“ „Ich bin bei dir.“ Solche Schlüssel-Sätze des Lebens entfalten ihre Kraft erst, wenn jemand anderes sie mir zuspricht. Als Mensch bin ich ein „exzentrisches“ Wesen: Ich habe meine Mitte außerhalb meiner selbst. Bin angewiesen darauf, dass ein anderer die fremden Wunderworte spricht, die mich erlöst, vergnügt, befreit machen. Doch ich brauche sie paradoxer Weise gerade dann, wenn kein anderer da ist, der sie spricht. Die Kunst, mit sich selbst alleine zu sein. In den Psalmen kommt hier Gott ins Spiel. Nicht so, dass er auf einmal aus dem Nichts auftaucht und dann laut und vernehmlich sprechen würde. Kein „Theater-Gott“, kein „deus ex machina“. Aber doch so, dass der Mensch, der da spricht und mit seiner kleinen, idiotischen Seele ringt, auf einmal frei wird. Höhe, Tiefe, Weite spürt. Innerlich zu singen, zu lächeln beginnt. Oder zumindest zu schmunzeln. In der Sprache der Psalmen heißt das dann loben und klingt so: „Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netz des Vogelfängers; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.“ Oder: „Die Ströme sollen in die Hände klatschen und alle Berge seien fröhlich vor dem HERRN.“ (Ps 124,7; 98,8) Gott als stilles Gegenüber verändert meine intimsten Selbstgespräche. Selbst, wenn ich ihn nicht spüre, mehr erhoffe als glaube, dass er da ist: Seine verborgene, erhoffte Gegenwart verändert mein Alleinsein. Das Gebet ist ein Möglichkeitsraum Gottes, eine Zeit, in der ich mir bewusst werde, dass er da ist, da sein könnte. Und das lässt sogar mein Sorgen-Selbst nicht unberührt. Gott als Gegenüber, um mit mir selbst allein sein zu können. Ein Horizont der Ewigkeit, der sich auftut. Und für meine Seele öffnet sich eine Tür, um aus meinem Sorgendenken herauszutreten, mich von meiner Selbstverkrümmtheit zu lösen. Meine kleine, geliebte, idiotische Seele: sie erkennt im Horizont der Gegenwart Gottes, dass sie liebenswert, wunderschön, einmalig ist. Wie die Seele jedes Menschen, jedes Tiers. Das verändert mein Alleinsein. Weil mir in Gott die anderen, die Schöpfung auf einmal ganz nahekommen. Das Alleinsein wird zu einer Zeit tiefer Begegnung. Und die Stille erhält einen neuen Klang. Selbst in warmen Dachstuben. Als schließlich die Mail mit dem Ergebnis des PCR-Tests kam (negativ), war das natürlich befreiend. Einfach rausgehen, Sonne, Luft, nach Hause zur Familie fahren. Aber der eigentliche Austritt aus meiner Mönchszelle hatte schon vorher begonnen. Als sich in mir etwas verändert hatte, meine Seele mit sich, Gott, dem Leben wieder im Reinen war. Auch wenn ich Telefon-Dauerschleifen weiter doof finde. Seelen-Rillen-Wechsel Manchmal hakts in mir
wie eine alte Platte
immer die gleiche Tonspur.
Bis es auf einmal springt.
Seelen-Rillen-Wechsel
und eine Melodie erklingt
bei der selbst mein Sorgen-Ich
lächeln muss.
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Theologischer Impuls von Präses Dr. Thorsten Latzel

Fragen-Wechsel – von nervenden, drängenden und befreienden Fragen
TheologischeImpulse94
Es gibt Fragen, die können einem ziemlich auf die Nerven gehen. So geht es mir bei einer bestimmten Art von Fragen mancher Interviewer-/innen. „Lieber Herr Latzel, wie lange meinen Sie, wird es Kirche denn überhaupt noch geben? Was wollen Sie tun, um die Kirche noch zu retten?“ Nun gehört das kritische Nachfragen zu den elementaren Aufgaben von Journalist-/innen. Unerlässlich für unsere offene, demokratische Gesellschaft. Problematisch wird es für mich, wenn die Fragen einen suggestiven Charakter bekommen. Wenn sie Klischees transportieren und nicht am Verstehen, sondern am Vorführen interessiert sind. Dann wird das journalistische Aufklärungspathos zur bloßen Attitüde, hinter der sich die eigenen Vorurteile verbergen. Sprachlicher Marker dafür ist das kleine „noch“. Konkret gesagt: Kirche Jesu Christi gibt es seit 2000 Jahren. Länger als unabhängigen Journalismus. Das Christentum wächst weltweit. Und die Kirche lebt – theologisch gesprochen – aus der Zusage, dass Christus selbst bei ihr ist „bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Selbstrettungsaktion abgeblasen. Auch die Annahme, je moderner ein Mensch, desto weniger religiös sei er, ist religionssoziologisch längst überholt. Kritischer müssten mir hier die Kritiker sein. Gerade auch im Interesse der vielen kompetenten Journalist-/innen, die ich kenne: „Stellen Sie Ihre Fragen gerne noch einmal neu.“

Damit komme ich zu einer anderen Art von Fragen. Berechtigte, kritische Fragen, die relevant und drängend sind. Dazu gehört für mich: Was wird aus dieser konkreten Gestalt unserer Kirche? Wie erreichen wir Menschen mit dem Evangelium von Jesus Christus – und zwar in einem freien, offenen Glaubensverständnis? Eine Sichtweise, in der Glauben und Freiheit unbedingt zusammengehören. In der Frauen, Männer, diverse Menschen selbstverständlich gleichberechtigt sind. In der Glauben und Denken einander nicht ausschließen. In der es nicht um das private Seelenheil einiger weniger geht, sondern um das Wohl der ganzen Schöpfung. In der die eigene Identität nicht auf Kosten anderer gepflegt wird. Eine Kirche, die sich eben von Jesus Christus und seiner Botschaft der unbedingten Annahme und radikalen Feindesliebe her versteht. Diese Fragen beschäftigen mich persönlich wie wohl viele Menschen mit kirchenleitender Verantwortung. Weil es ihnen wie mir hier um mehr geht als um den Erhalt irgendeiner religiösen Institution mit rückläufigen Mitgliederzahlen. Deshalb beschäftigen und begleiten mich diese Fragen persönlich, auch wenn ich schlafen gehe oder aufstehe. Denn auch wenn Religionen und speziell auch christliche Religion weltweit wachsen, für diese Sicht des Glaubens und ein weltoffenes Kirchenverständnis gilt dies keineswegs. Den populistischen Reiz zur „Identität durch Ausgrenzung“ und zu simplen Schwarz-Weiß-Bildern gibt es nicht nur im politischen Bereich.

„Stellen Sie Ihre Fragen gerne noch einmal neu.“ Als ich mich kürzlich mit einem Freund über diese Themen unterhielt, verwies er mich auf ein Buch von Simon Sinek mit dem Titel „Start with why.“ In ihm geht es darum, wie Führungskräfte erfolgreich Veränderungen inspirieren können. „Frag zuerst: Warum.“ Warum ist es mir persönlich eigentlich wichtig, dass es diese konkrete Gestalt unserer Kirche gibt? Das ist das eine, innere Warum. Und warum ist es für die anderen, unsere Gesellschaft, weit gesprochen die Schöpfung, die Welt wichtig, dass es sie gibt? Dies ist das andere, äußere Warum. Die Veränderung der Frage finde ich heilsam irritierend und befreiend. Weil sie mir einen anderen Blick öffnet. Darauf, worum es bei der Frage nach der „Zukunft der Kirche“ eigentlich geht. Was für mich persönlich, geistlich, gesellschaftlich hinter dem Anliegen zu ihrem Erhalt liegt. Warum will ich das?

Offene Liste, warum mir meine evangelische Kirche wichtig ist Weil ich mir ein Leben ohne Gott, Seele, Ewigkeit zwar vorstellen kann, aber niemals wünschen würde. Diesen Glauben an Gott habe ich niemals ohne die anderen.Weil mir in Christus die grenzenlose Liebe Gottes begegnet. In ihr spielt es keine Rolle, wer jemand ist, wo er herkommt, wie sie aussieht, wen er oder sie liebt. In der Gemeinde wird für mich etwas von dieser Liebe Gottes erfahrbar.Weil ich zu einer weltweiten Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern gehöre, die sich aktiv für andere engagieren. Mir sind wie ihnen die Schöpfung und das Leben anderer Menschen nicht egal. Wir leben in der Hoffnung, dass Gott einmal alles Leiden beenden wird.Weil mich Gottes Geist dankbar, trotzig und getrost macht. Er befreit mich von der Sorge um mich selbst zur Liebe für andere. Er hilft mir, meine Schönheit zu entfalten und die anderer wertzuschätzen. Gottes Geist wird mir zugesprochen. Das kann ich mir nicht selber sagen.Weil mich die Geschichten der Bibel durch mein Leben begleiten. Um sie recht zu verstehen, braucht es eine lebendige Erzählgemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der Denken und Glauben zusammengehören und in der Wahrheit Gottes nichts ist, was ein Mensch besitzt.Weil der Glauben mein Leben nicht einfacher, aber schöner, tiefer und freier macht. In Gott finde ich Ruhe. Und ich werde durch ihn über Grenzen bewegt. Gemeinsam mit anderen, fremden Menschen, die sich so von Gott bewegen lassen.Weil ich in Gott immer jemanden habe zum Danken, Loben, Klagen. Manchmal tue ich das laut im Gottesdienst für andere und oft tun es andere für mich.  
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Theologischer Impuls von Präses Dr. Thorsten Latzel

TheologischeImpulse93-MeinLieblingsdoenerdieKraeheundich
In der Nähe meines Arbeitsplatzes gibt es einen Dönerladen. Genauer gesagt nicht einen, sondern „meinen“ Dönerladen. Er liegt rund 300 Meter weit weg, sodass ich in Mittagspausen kurz rüberlaufen kann. Der vegetarische Döner ist gut, richtig gut. Was den Imbiss aber eigentlich besonders macht, sind die Menschen dort. Als ich das erste Mal da war, wurde ich in die Kunst der Zubereitung eingeführt: „Mögen Sie ihn mit gebratenem Gemüse, mit Couscous oder gemischtem Salat? Mit oder ohne Zwiebeln, scharfem Gewürz, Käse, Bohnen, Paprika, Krautsalat, Tomaten? Und welche Sauce hätten Sie gerne dazu?“ Beim zweiten Besuch: „Aah, wieder: ‚Ohne Zwiebeln, ohne Sauce, ohne scharfes Gewürz, mit Käse – zum Auf-der-Hand-Essen‘?“ Respekt. Was für eine Leidenschaft und Sorgfalt! Da hat mich jemand wahrgenommen, trotz Corona-Maske. So aufmerksam zugewandt würde ich gerne als Kirche auf Menschen zugehen. Personalisierte Kommunikation des Evangeliums: „Was ist Ihnen am Glauben wichtig? Und was können wir für Sie tun, um Sie zu stärken? Brauchen Sie für Ihr Leben Zwiebeln, welche Sauce, mit oder ohne scharfes Gewürz?“ Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern mit persönlicher Zuwendung – ganz im Sinne von Paulus: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette.“ (1. Kor 9,23) Kirche als Lebensbegleiterin und geistliche Herberge, die konsequent von Menschen und Kontakten aus gedacht wird und nicht von eigenen Angeboten oder Verwaltungsstrukturen. Meinen Döner esse ich dann meist auf der Bank vorm Landeskirchenamt. Gemeinsam mit einer Krähe. Zuerst habe ich noch versucht, sie wegzuscheuchen. Ich war genervt von ihrer wenig kaschierten Futter-Schieligkeit. Ohne Erfolg. In gebührenden Abstand saß sie da und schaute mit ihren schwarzen Krähen-Augen weiter zu mir rüber. Mit Erfolg. Irgendwann warf ich angesichts solcher Beharrlichkeit das Handtuch oder, genauer gesagt, die Brotstückchen. Was für einen reicht, reicht auch für zwei. Noch dazu, wenn die andere eine kleine Krähe ist. Von Mahlzeit zu Mahlzeit hoppelte sie nun etwas näher heran. Vielleicht bilde ich mir das in einer romantisierenden Anwandlung auch nur ein. Sei´s drum. Wenn Franz von Assisi den Vögeln predigte, so habe ich zumindest Mittagspicknick mit meiner kleinen Krähe. Mittlerweile habe ich raus, dass sie Gemüse weniger mag und mehr auf Fladenbrot steht. Wikipedia zufolge sind Krähen ja alles-fressend (omnivor): „Da Raben und Krähen opportunistisch bei der Nahrungssuche vorgehen […], können regional und saisonal die Anteile bestimmter Futterquellen an der Nahrung schwanken.“ Opportunismus hin oder her, meine Krähe ist auf jeden Fall ein Kohlenhydrat-Junkie. Wahrscheinlich würde sie sich auch über Lammfleisch freuen. Das brächte aber meinen Döner-Verkäufer durcheinander. Also bleibt es bei der vegetarischen Variante. Tatsächlich beschäftigt mich nach ein paar gemeinsamen Picknicken die Frage, wer bei der alten Geschichte von Franziskus und den Vögeln eigentlich wem gepredigt hat. Bei Jesus und den Spatzen in der Bergpredigt waren es zumindest nicht die Menschen, von denen die Vögel etwas lernen konnten. Nun will ich meine kleine Krähe nicht idealisieren. Krähen können als Nesträuber wirkliche Mistkerle sein. Ich weiß nicht einmal, ob die Krähe unsere Begegnungen auch als „gemeinsames Picknick“ bezeichnen würde. Für mich ist aber der Kontakt gerade auch zu Tieren und Pflanzen ein Feld, auf dem wir als Christinnen und Christen lernen können, was es heißt, aus Gottes Geist zu leben. Um noch einmal Paulus zu bemühen: „Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. […] Denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,19ff.) Dazu ist uns der „Geist als Erstlingsgabe“ anvertraut. Das mag etwas seltsam klingen. Und vielleicht würde das die kleine Krähe auch so sehen. Aber es ist eine Zukunftsfrage für uns als Kirche, was wir von unserem Glauben her zu einer versöhnten Lebensweise zwischen uns Menschen und unserer Mitschöpfung beitragen können. Auch hier geht es – wie beim Dönerladen – um Sorgfalt, Leidenschaft, persönlicher Wertschätzung. Ein Leben im offenen Kontakt zu anderen. Open minded. In der Gegenwart des Geistes Christi. Direkt neben „meinem“ Dönerladen gibt es übrigens noch einen Imbiss mit asiatischen Angeboten, den ich jetzt getestet habe. Aber – das ist eine andere Geschichte. Krähen-Gedanken Wir sitzen
zusammen oder in der Nähe.
Wir essen
gemeinsam oder zeitgleich.
Zumindest
vom gleichen Brot.
Wir werden uns wohl niemals
verstehen.
Doch das geht mir
mit vielen Menschen ähnlich.
Vom Segen, Dir zur begegnen,
nimmt das nichts. (TL)
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Andacht: Vorhang auf!

Eine Andacht von Andreas Spierling, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bergneustadt

„Vorhang auf, Bühne frei…! Jetzt geht´s los! Wir sind nicht mehr aufzuhalten.  Jetzt geht´s los, hier spielt die Musik.“ So hat es die Kölner Gruppe „De Höhner“ 1998 auf den Punkt gebracht. Bühne frei, das Leben feiern. Hier hält uns nichts mehr auf. Raus auf die Gassen und die Freiheit miteinander leben. Nein – aufhalten kann uns keiner mehr. Wo wir sind, da spielt die Musik.

Ich finde diesen Gedanken im Blick auf das Pfingstfest faszinierend. Pfingsten hat für mich immer etwas mit Begeisterung zu tun. Irgendwie bleibt kein Stein auf dem anderen und alles wird neu. Da hält es die Menschen nicht mehr auf den Plätzen und sie rufen hinaus, was ihnen auf dem Herzen liegt. Sie erzählen von den wunderbaren Taten Gottes. Gottes Geist hatte ihnen die Herzen geöffnet und nun muss es raus: Gott ist der Schöpfer allen Lebens. Er hat in Jesus seine Geschöpfe aufgesucht und zum Leben durch Tod und Auferstehung befreit. Der Himmel ist offen. Was für eine Begeisterung.

Es bricht sich Bahn, was Jesus seinen Vertrauten gesagt hat: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der zu euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein.“ (Apostelgeschichte 1,8)

Auf diesem Hintergrund gönnen Sie sich die Zeit und lesen einmal Apostelgeschichte 2! Es lohnt sich.

Da lässt unser Gott nicht nur ein laues Pfingstlüftchen wehen. Nein – hier darf es mal richtig zur Sache gehen. „Volles Programm“ – würde man heute sagen. Da wird aufgewirbelt, was sich verfestigt hatte, da öffnet sich der Himmel, der zuvor verhangen war. Da ist der Regisseur des Lebens in seinem Geist am Werk. Der Vorhang öffnet sich und die Bühne ist frei. Er stellt die Ausstattung zu Verfügung und befähigt die Akteure zum Handeln.

So erzählen sie aus Begeisterung heraus von den wunderbaren Taten Gottes und alle verstehen es. Das kriegen auch die mit, die bisher in Glaubensdingen sehr zurückhaltend waren. Sie öffnen neugierig ihre Türen und der ein und die andere lassen sich mitreißen zur Feier des Lebens.

Wir sind nicht mehr aufzuhalten – das wünsche ich mir für uns Christen von Herzen, dass uns nichts mehr zurückhält, vom Heiligen Geist befähigt und getrieben von den großen Taten Gottes zu erzählen.

Stimmen Sie heute noch ein: „Unser Leben sei ein Fest. Jesu Geist in unserer Mitte. Jesu Werk in unseren Händen, Jesu Geist in unseren Werken.“ (Evangelisches Gesangbuch 571)

Also: Die Bühne ist frei. Sind wir noch aufzuhalten?

Ihr Pfarrer

Andreas Spierling

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Protestantisch leben in der Pandemie – Eine geistliche Alternative zu Querdenkerei

Theologische Impulse (89) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Es wird nicht wieder werden, wie es einmal war. Das ist eine harte Erfahrung aus der Corona-Zeit. Am Anfang habe ich noch oft gehört: „Wir verschieben das einfach.“ Sechs Monate nach hinten. Um ein Jahr. Auf irgendwann nach der Pandemie. Wie bei einem Film: kurz auf Pause drücken und dann – nach Corona – weiterschauen. Das Versäumte später nachholen. Doch das geht nicht. Weil das Leben keine Pausetaste hat. Es lässt sich nicht anhalten. Die Zeit ist zu lang geworden und zu viel ist geschehen. – Für das kleine Restaurant am Markt war der Druck zu groß. Der Besitzer ist ausgebremst: von einer 60 Stunden-Woche auf null. – Ihren Schulabschluss wird unsere Tochter nicht mehr nachfeiern. Ihren 18. hat sie noch gefeiert – corona-konform mit genau einer Freundin. – Und viel zu viele Menschen, von denen wir Abschied nehmen mussten. Die Erfahrungen aus den Corona-Monaten werden bleiben. Manche positive, aber vor allem Schulden, Wunden und Verletzungen. Es wird nicht wieder werden, wie es einmal war. Das ist auch die Erfahrung, aus der die Bibel entstanden ist. Die Bücher des Alten Testaments, die Heiligen Schriften des Volkes Israel, wurden geschrieben, gesammelt nach dem tiefen Einschnitt des Exils. Auch nach der Rückkehr ins verheißene Land war es nicht wieder wie zuvor. Die Zeit dehnte sich und viele Erwartungen erfüllten sich nicht. Jerusalem und der Tempel blieben lange zerstört. Die verwüsteten Orte wurden nicht auf einmal zu grünen Gärten. Die Bücher des Neuen Testaments wurden geschrieben, gesammelt nach dem tiefen Einschnitt von Tod und Auferstehung Christi. Das Kommen Christi und sein Reich ließen auf sich warten. Die Zeit dehnte sich und viele Erwartungen erfüllten sich nicht. Kommt er morgen, nächste Woche, nächstes Jahr, überhaupt einmal? Viele Glaubende starben, unter ihnen alle, die ihn noch mit eigenen Augen gesehen hatten. Die Gemeinden wuchsen, aber auch die Spaltungen nach innen und die Verfolgung von außen. Es wird nicht wieder werden, wie es einmal war. Damals suchten Menschen Antworten, um Gott und sich selbst zu verstehen. Sie setzen sich hin und schrieben auf, woran sie glaubten. Sammelten Texte, die ihnen Halt und Hoffnung gaben. Durch die sie Gottes Geist erfuhren. Worte, die ihren Glauben durch die Zeiten trugen. Tragfähige Worte: Was hilft uns, uns zu verstehen, da auch unser Leben, unsere Gesellschaft, unsere Kirche nicht mehr so sein werden, wie sie einmal waren? Ein Schlüsseltext dafür ist in dieser Woche vor Rogate das Vaterunser. Das Gebet Jesu Christi lehrt uns, was es heißt, im wahrsten Sinne des Wortes „protestantisch“ zu leben – mitten in der Pandemie. Eine Anrede, sieben Bitten und ein hymnischer Schluss. Mehr nicht. Kurze, knappe Sätze, die mein Denken und Handeln neu ausrichten. Druck-Punkte für meine Seele. Sie versetzen mich heraus aus sorgenvoller Starre hinein in heilsame Bewegung. Zunächst die Anrede. „Vater unser im Himmel“ – wir glauben, dass es mehr gibt, als es gibt. Mehr als Viren, Naturgesetze. Mehr als das, was Menschen machen. Wir glauben, dass es einen Himmel gibt. Und einen Gott, der uns hört. Dass wir durch Gott mit allen Geschöpfen als Geschwister verbunden sind. Mit Menschen, Tieren, Pflanzen. Das verleiht meinem Leben Weite und Heimat: Ich bin nicht allein. Bin geborgen in Gott. Das ist die erste Bewegung: Meine Seele weitet sich, spürt den Himmel in sich. Sie kommt zur Ruhe, findet Heimat in Gott als Schöpfer allen Lebens. Dann die Bitten. Drei Bitten mit „Dein“, vier Bitten mit „unser“. Die zweite Bewegung meiner Seele. Raus aus der Sorge um mich selbst, der selbstfixierten Nabelschau. Hin zum „Du“ und zum „Wir“. Zur Begegnung mit Gott und zur Gemeinschaft mit allen anderen. – „Geheiligt werde dein Name“. Uns ist etwas heilig. Nicht unser eigener Ruf. Nicht der unserer Kirche. Sondern der Name Gottes. Und durch ihn der Name eines jeden Menschen. Wir heiligen Gottes Namen, indem wir den Namen jedes Menschen heiligen. Den Namen unseres Nachbarn, dessen Verhalten uns in der Pandemie ärgert. Von Politiker/innen, Lehrer/innen und überhaupt „denen da oben“, deren Job wir vermeintlich so viel besser machen könnten: Ihr Name ist uns heilig. Wir muten einander Wahrheit zu. Aber wir machen andere nicht schlecht. – „Dein Reich komme.“ Gottes Reich erfahren wir, wo immer Menschen sich um andere kümmern. Erschöpften helfen. Traurige trösten. Mit anderen teilen. Diese Liebesreich Gottes bestimmt auch uns. Uns ist niemand egal. Weil uns in jedem anderen Christus begegnet. So geschieht Gottes Liebeswille unter uns – „im Himmel wie auf Erden.“ – „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – Während Corona erfahre ich: Mein normaler Alltag ist eine Gabe, ein Geschenk. „Mein tägliches Brot“: ein Lächeln in der Straßenbahn, die Kaffee-Runde mit den Kolleg/innen, der Besuch im Kino und Stadion, mich mit Freunden treffen. Für viele Menschen war manches davon auch vor Corona keineswegs normal. Ich lerne neu den Wert des Alltags. Bin beschenkt, wenn ich‘s oft nicht merke. – Und ja, wir haben einander viel zu vergeben. Andere mir und ich anderen. Im Nachhinein würde man sicher vieles anders machen. Ich auch. Auch diese Pandemie verleitet dazu, nach Schuldigen zu suchen. Irgendwelchen Irrsinn zu glauben: „und führe uns nicht in Versuchung.“ Zu unserem Glauben gehört: Wir werden nicht von außen bestimmt. Weder durch Viren noch durch Schuld noch Verschwörungsphantasien. Uns bestimmt Gottes Liebe. Sie macht uns frei, mit anderen daran zu arbeiten, wie es nach der Pandemie sein wird. Wenn wir von diesem „Bösen“ erlöst sind. Am Ende des Vaterunsers dann der hymnische Schluss. Viele schwere Begriffe auf wenig Raum: Reich, Kraft, Herrlichkeit, Ewigkeit. Damit kann ich, ehrlich gesagt, oft ziemlich wenig anfangen. Ich bin nicht so der hymnische Typ. In den letzten Monaten sind sie mir aber anders wichtig geworden. Sie beschreiben eine dritte Bewegung meiner Seele. Meine Seele öffnet sich für Gottes Wirklichkeit: Sie geht aus sich heraus, verlässt sich auf Gott, rechnet mit seinem Wirken. Oder kurz gesagt: Sie hofft. Darum geht es im Hymnus: um Hoffnung. Ich lobe Gott und mache mir selbst bewusst: Es wird am Ende gut werden. Weil Gott regiert. Weil Gott die Kraft hat, zu retten. Das ist seine Form der Herrlichkeit: für andere da zu sein. Immerdar. Protestantisch leben – mitten in der Pandemie. Das ist ziemlich exakt das Gegenteil von Querdenkerei. Es geht um Trost und Trotz des Glaubens. Eine tiefe, innere Widerständigkeit aus Gott. Es wird nicht wieder werden, wie es einmal war. Das ist die eine Seite der Wahrheit. Die andere ist: „Gottes Reich kommt.“ Deswegen: Seid trotzig und getrost. Seid füreinander da. Und lasst uns so aus Gottes Liebe leben. Das schenke uns Gott.
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Rogate: Mit Gott in Beziehung leben

„Herr, lehre uns beten! Amen.“ Eine Andacht von Michael Striss, Pfarrer der Kirchengemeinde Lieberhausen zum fünften Sonntag nach Ostern: Rogate – betet!

Mehrfach habe ich in letzter Zeit von der „Pandemie der Einsamkeit“ gehört und gelesen. Demnach fühlen sich zehn Prozent der Deutschen sehr allein. Das Phänomen ist nicht neu, wird aber durch die Corona-Krise deutlich verschärft. Menschen unterschiedlichen Alters beschreiben, was ihnen fehlt: Begegnung, Kommunikation, vertrauensvolle Beziehungen. 

Der Sonntag „Rogate“ ermutigt uns zum Beten. Was ist das? Mancher versteht das Gebet als eine Meditations- oder Entspannungstechnik. Möglich, dass man sich danach besser fühlt. Andere meinen, das sei eben ein Ritual für Christen. „Er verrichtete sein Gebet“, heißt es manchmal. Allerdings verbinde ich mit „verrichten“ ganz andere Vorstellungen.

Eigentlich soll beim Beten doch gerade das möglich werden, was die anfangs erwähnten Menschen so schmerzlich vermissen: Begegnung und Kommunikation; Beten als natürlicher Ausdruck einer vertrauensvollen Beziehung. Wenn Gott existiert, dann ist es das Widersinnigste überhaupt, dass Menschen nicht daran interessiert sein sollten, mit ihrem Schöpfer in Beziehung zu treten. Oder dass es uns gleichgültig ist. Aber genau das scheint die Realität zu sein, die so schon in der Bibel beschrieben wird als das Urproblem des Menschen: Er hat diese Beziehung einseitig aufgekündigt und meint, auch allein, ohne Gott zurechtzukommen. Dementsprechend sieht es allerdings in unserer Welt auch aus.

Wer Christ wird, will genau das nicht mehr. Dem wird deutlich, dass der Mensch geradezu dafür geschaffen wurde, um mit Gott in Beziehung zu treten. Das ist sein Lebenssinn. Wer von Gott berührt wird, in dem wächst auch der Wunsch, ihn immer besser kennenzulernen. Er wird diese Beziehung suchen. Und das Gespräch.

Diese betend gelebte Gottesbeziehung hat eine ganz eigene, mit nichts zu vergleichende Qualität.  Sie soll und kann daher auch kein Ersatz sein für mangelnde zwischenmenschliche Beziehungen. Im besten Fall aber verbindet uns Menschen das Gebet auch untereinander. Auch in dieser Zeit. Auch in Präsenz. Das geht alles. Und ist so nötig.      

Unser Gebet für heute kann lauten:

„Jesus Christus, Erlöser, du Freund und Bruder, schenke mir, dich klarer zu erkennen, dich inniger zu lieben, dir stets vertrauend nachzufolgen.“

(Richard von Chichester, 1197-1253)

Herzlich grüßt Sie

Ihr Michael Striss, Kirchengemeinde Lieberhausen  

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Andacht zum Sonntag Kantate:  „Singen sprengt die Fesseln“

Der Spruch des Sonntags und der Woche lautet: „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ (Psalm 98,1). Eine Andacht von Markus Aust 

Hand aufs Herz! Sind wir nicht eher geneigt, die alte Leier anzustimmen: „Früher war alles besser, heute ist alles so schlimm, morgen wird es noch viel, viel schlimmer sein.“

Natürlich gehen wir gerade durch schwere Zeiten, die ich in keiner Weise klein reden möchte. Aber der Sonntag Kantate ermutigt uns, gegen die widrigen Umstände anzusingen und dabei zu erleben, wie die Ketten der Trostlosigkeit aufspringen und Trost und Mut einziehen.

Meine Lieblingsgeschichte dazu steht in der Bibel in Apostelgeschichte 16, 22-34: Paulus und Silas wurden „hart geschlagen“, weil sie vollmächtig das Evangelium verkündigt hatten. Man warf die Beiden, von Striemen und Wunden gezeichnet, ins Gefängnis und sperrte ihre Füße in einen Holzblock. Das heißt: Sie saßen absolut fest. Ihnen war massives Unrecht widerfahren; sie hatten übelste Schmerzen erlitten und konnten sich – an den Füßen fixiert – noch nicht einmal ihre Wunden verbinden.

Sie haben ihre Herzen im Gesang erhoben

Und jetzt kommt es: Was machen die Zwei? Sie hätten doch jetzt allen Grund zu klagen und zu fragen: „Herr, wie kannst Du so etwas nur zulassen? Wir sind doch in deinem Auftrag unterwegs!“ Tun sie aber nicht. Sondern das Gegenteil. Um Mitternacht fangen sie an zu singen und Gott zu loben. Ziemlich verrückt, oder? Aber gerade da liegt das Geheimnis: Äußerlich gebunden sind sie innerlich zu ihrem auferstandenen und erhöhten Herrn entrückt oder ver-rückt. Sie haben ihre Herzen zu ihrem Herrn und Gott im Gesang erhoben.

Dieses Wunder geschieht immer wieder beim Singen und ganz besonders beim Singen von Gottes- und Anbetungsliedern: Die Seele des Singenden wird über die schmerzlichen Umstände zu Gott erhoben.

Ich las von einem Gefängnisinsassen, der im Gefängnischor das Lied von Marius Müller-Westernhagen sang: „Freiheit, Freiheit ist die Einzige, die fehlt.“ Während er sang, war er schon frei, war er wieder zuhause bei seiner Familie, die ihm die Treue hielt.

Gott loben zieht nach oben

Singen sprengt die Fesseln. Gott loben zieht nach oben. Auf einmal stehen wir nicht mehr gefangen in den üblen Umständen, sondern frei vor unserem Herrn, der über unseren Umständen steht und uns als der gute Hirte da heraus führen wird. Wer´s glaubt, wird selig. In der Tat!

„Dankt unserm Gott, lobsinget ihm,

rühmt seinen Namen mit lauter Stimm;

lobsingt und danket allesamt.

Gott loben, das ist unser Amt.“

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 288,5)

Es grüßt Sie herzlich,

Ihr Markus Aust, Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Gummersbach

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Andacht zu Jubilate: Es muss ja alles gut werden 

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Korinther 5,17). Eine Andacht zum dritten Sonntag nach Ostern von Uwe Selbach 

Der dritte Sonntag nach Ostern trägt den schönen Namen „Jubilate“! Auch ohne Lateinkenntnisse kann man ahnen, was es heißt: „Jubelt!“, „Jauchzet!“, „Freut Euch!“

Wie gerne würden wir das! Während ich diese Andacht verfasse, steigen die Inzidenzzahlen wieder an und weitere Einschränkungen stehen bevor. Zur Zeit würde ich – wenn ich wetten würde –  nicht hoch wetten, dass es am 25. April wieder entspannter aussieht… – „Jubelt“ ??

Nun orientieren sich die Namen der Sonntage ja – Gott sei Dank! – nicht am aktuellen Geschehen, sondern an der Ordnung des Kirchenjahres. Die Sonntage nach Ostern wollen auf ihre Weise das wunderbare Ostergeschehen vertiefen, tief einprägen und in uns verwurzeln, damit die Auferstehung Jesu Christi von den Toten das unerschütterliche Fundament unseres Glaubens bleibt: „Der HERR ist auferstanden! – ER ist wahrhaftig auferstanden!“

Vor diesem Hintergrund ist es spannend, den Wochenspruch für die kommende Woche zu lesen:

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Korinther 5,17)

Das ist doch eine ganz große Sehnsucht in uns: ein Neuanfang! Noch einmal neu durchstarten können! Das Alte hinter sich lassen und neu werden! – Wann haben Sie zuletzt von sich gesagt: „Ich fühle mich wie neugeboren“? Vielleicht nach einer überstandenen Operation, nach einem geglückten Sprung in einen neuen Lebensabschnitt, nach einer Befreiung aus Todesängsten?

Ich vermute, dass es bei den meisten schon lange her ist, dass sie so einen Satz jubilierend gerufen haben: „Ich fühle mich wie neugeboren!“ Gerade in dieser Pandemie habe ich den Eindruck, dass das Gegenteil viel tiefer an uns nagt. Da fühlt man sich alt und ausgebrannt. 

Der Apostel Paulus macht die „neue Kreatur“, die „neue Schöpfung“ nicht an unseren Erfahrungen und nicht am Zustand der Welt fest (erst recht nicht an Inzidenzzahlen), da gibt es wohl nicht viel Neues unter der Sonne…

Paulus macht das „neue Sein“ an Jesus Christus fest! In IHM ist das österliche Wunder der neuen Schöpfung schon Realität!  ER ist der „Erstling“ der neuen Schöpfung (1. Korinther 15). Der auferstandene Christus wird zum Vor-Bild für das Neue, das begonnen hat! Und wer sich wie ein Kind hinein begibt in die Hand des himmlischen Vaters (siehe das Bild von Dorothea Steigerwald), der folgt darin dem sterbenden Christus, der betet: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“

Und wer sich in diesem kindlichen Vertrauen dem Vater im Himmel anvertraut, der hat Anteil an der „neuen Schöpfung“! Der trägt wohl das Alte noch als spürbare und sichtbare Wunde an sich, aber er weiß auch um das neue Leben, in dem der Auferstandene uns vorangeht, er weiß um den neuen Himmel und die neue Erde, wohin wir unterwegs sind, er weiß um das neue Leben in Christus – schon hier und dereinst erst recht! Er weiß um die tiefe Wahrheit, die uns befreit und entspannt jubilieren lässt:

„Es muss ja alles gut werden, weil Christus auferstanden ist!“ (Sören Kierkegaard)

Das sind gute Gründe zum Danken und Loben. „Jubilate!“

Mit herzlichem Gruß,

Ihr Uwe Selbach

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Offene Kirche an Markttagen

Ab 9.Februar ist die Kirche für das Zur-Ruhe-kommen vor Gott, für das stille Gebet und für das Entzünden einer Kerze von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr geöffnet. In den folgenden Wochen immer dienstags und donnerstags von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr und mittwochs von 17:00-19:00 Uhr. Zur Zeit können Sie Bilder von Edith Fischer und Renate Dahmer in der Kirche bewundern

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Wochenandacht

Andacht:  Barmherzigkeit in der aufgeregten Gegenwart

Pfarrer Matthias Weichert schreibt zum zweiten Sonntag nach Ostern  

Der Wochenspruch (1. Petr 1,3) verspricht uns Hoffnung:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

Ein Wort spukt mir durch den Kopf: Liebesentzug. Zu Hause ist es oft der Partner*in, der/ die einen erziehen möchte, sagt der Psychologe Manuel Tusch aus Köln. „Oder es sind die Kinder, die ihren Willen durchsetzen wollen. Da wir sie so sehr lieben, lassen wir uns gerne mal von ihnen auf der Nase herumtanzen.“ Ein typisches Beispiel ist auch die Manipulation der Schwiegermutter, die ihren Sohn gegen die Schwiegertochter auszuspielen versucht. “Sobald ein Mensch in Beziehungen zu anderen steht, kann er manipuliert werden“, erklärt Manuel Tusch. Wenn ein emotionales Band zwischen zwei Personen existiert, funktioniere es besonders gut. „Wenn ich jemanden sehr liebe, bin ich offen. Ebenso aber, wenn ich Angst habe oder abhängig von jemandem bin.“

Warum spukt mir das durch den Kopf? Weil in diesem Wochenspruch von der Liebe / Barmherzigkeit gesprochen wird, die Gott uns durch die Auferstehung Jesu schenkt. Gleichzeitig lebe ich in der aufgeregten Gegenwart, in der so viel Unvorhergesehenes passiert, viele Stimmen meinen unbedingt recht zu haben.

Durch Liebesentzug kann ich manipuliert werden, weil oft – wie beschrieben – unehrliche Motive Menschen leiten. Die innere heitere Gelassenheit des Glaubens an die Barmherzigkeit Gottes, die unter anderem auch Martin Heidegger ausführlich beschreibt, kann immun für Manipulation machen – Mich stimmt der Glaube an die unbedingte Barmherzigkeit Gottes gelassen, verleiht mir Selbstsicherheit – besonders in diesen aufgeregten Zeiten.

Die Botschaft von Ostern ist doch die, dass Gott uns so annimmt wie wir sind – wir diesem Gott vertrauen können, weil er nicht mit Liebesentzug manipuliert und zu uns in unserer Vorläufigkeit steht. Ostern und Auferstehung sind ja tatsächlich Aussagen, die der Rationalität entzogen sind, sie leben vom, dass Gott Möglichkeiten hat, die in unseren Erkenntnissen nicht vorkommen.

Wahrscheinlich schmunzelt Gott über unsere aufgeregten Diskussionen die wir über Versäumnisse in der Pandemiebekämpfung führen, über Kandidaturen um höchste Ämter, die als heftige Auseinandersetzungen geführt werden, versteht vielleicht nicht die Geheimnisse eines föderalen Systems. Sicher wünscht er aber uns die innere heitere Gelassenheit, die wir durch den Glauben an seine Barmherzigkeit gewinnen können.