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Wochenandacht

Die Andacht wird am Samstag, 22. August 2020, online gestellt. Wir freuen uns, wenn Sie den Link verwenden. Bitte verweisen Sie auf den Ev. Kirchenkreis An der Agger.

Andacht: Der Maestro und ich

Die Andacht zum elften Sonntag nach Trinitatis schreibt Michael Striss, Pfarrer der Kirchengemeinde Lieberhausen

/mnt/web113/d1/88/51698988/htdocs/wp content/uploads/2020/08/200824 MIchael Striss Ennio Morricone

Montagvormittag, 6. Juli 2020: Eine 76-jährige stets hellwache Freundin aus meinem Hauskreis ruft mich an: „Michael, hast du schon gehört? Morricone ist gestorben.“ Die Anruferin weiß aus einem meiner Bücher, was mir der Verstorbene bedeutet. Seit ich 13 war, begleitet mich der Komponist Ennio Morricone. Kaum ein Mensch hat mich jemals emotional so tief berührt, erschüttert, zum Weinen gebracht wie er mit seinen weit über 500 Filmmusiken.

Morricone sagte: „Für den Film Musik zu schreiben, erfordert Demut. Man muss sich den Gesetzen des Films unterordnen.“ Der Mann, dessen Musik seit über 60 Jahren geliebt, zitiert, adaptiert und kopiert wird, der als „il maestro“ unzählige Künstler inspirierte, mehr als 70 Millionen Tonträger verkaufte, eine schier unglaubliche Anzahl von Auszeichnungen erhielt, der für die UNO und den Papst konzertierte, trat als Person stets hinter seinem Werk zurück.

Nach seinem Tod bekundeten Staatsmänner, Künstler und Prominente aus aller Welt ihre Betroffenheit, Papst Franziskus telefonierte mit seiner Witwe. Ennio Morricone selbst hatte in einem Abschiedsbrief seine Familie um eine stille Beisetzung im engsten Kreis gebeten, da er „niemanden stören“ wolle. „Dies entspricht der Demut, die Morricone während seines Lebens stets gekennzeichnet hat”, erklärte ein Freund der Familie.

Was machen wir mit unserem Potential?

Der neue Wochenspruch lautet: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (1. Petrus. 5,5). Der katholische Christ Morricone mag das Wort gekannt haben. Auf nichts als seine Musik und seine Familie fokussiert, erwies sich Morricone ein Menschenalter lang als begnadet und brachte reiche Frucht – während viele „Sternchen“, denen es um Prominenz und Ruhm geht, aufsteigen und schnell verglühen.

Nicht nur Ausnahmekünstler, nein, jeder von uns ist von seinem Schöpfer geliebt, begabt, begnadet. Jeder hat Potential erhalten – Stärken, Fähigkeiten, Möglichkeiten zur Entwicklung. Was machen wir damit? Sind wir dankbar? Wenn uns etwas gelingt – schreiben wir es uns allein zu, klopfen uns selbst auf die Schulter?

Kann es sein, dass manches Tun so verkrampft wirkt, weil wir denken, alles käme nur auf uns an? Ob das nicht unsere Beziehungen zu Gott und den Menschen belasten kann?

Demut mag ein Schlüssel sein. Mancher hält sie für nicht mehr zeitgemäß, missdeutet Demut als eine heuchlerische, gar kriecherische Gesinnung. Das ist sie nicht: „Demut“ kommt von „Dien-Mut“. Es braucht Mut, Selbstbewusstsein und Haltung, um sich nicht selbst ins Rampenlicht zu rücken, sondern sich vom Applaus der Menge unabhängig zu machen und stattdessen den Wert und das Wohl anderer in den Blick zu nehmen. Damit ehren wir Gott. Jesus Christus, der eigentliche „maestro“, kann uns darin Vorbild sein, an dem wir uns orientieren.

Und die weitere Perspektive Morricones? Der päpstliche Kulturbeauftragte Kardinal Ravasi mutmaßt, vielleicht beauftrage Gott ihn „mit einer Partitur, auszuführen von den Engelschören“. Eine menschliche Vorstellung, zugegeben. Aber sie leuchtet mir durchaus ein. Warum sollte einer nicht dort vollenden können, womit er schon hier begonnen hatte: himmlische Klänge, Musik für die Ewigkeit zu erschaffen?

Pfarrer Michael Striss, Kirchengemeinde Lieberhausen

ANHANG

Michael Striss.jpeg Bildzeile: Wiener Stadthalle 2007: Michael Striss freut sich auf sein erstes Morricone-Konzert. Auf dem Programmheft steht: Ennio Morricone dirigiert Morricone. Der Oscar-Preisträger und größte Filmkomponist der Gegenwart.